Von Verlust und Frieden
Der Mensch findet zu seinem Abschied seinen Frieden!
Doch gilt das auch für die Angehörigen?
In meiner Eigenschaft als Trauerredner komme ich oft in Familien, in welchen ich schon nach kurzer Zeit merke, dass die familiäre Situation angespannt ist. Der Abschied eines Menschen bringt schon lange getrennte Menschen wieder zusammen.
Die Gründe hierfür sind so unterschiedlich, wie die Menschen selbst. Räumliche Distanz, andere Lebensmodelle, Streit oder man hat sich schlicht und ergreifend auseinandergelebt.
Vor einigen Monaten kamen zwei Geschwister in mein Büro zum Vorgespräch. Sie hatten ihren Vater verloren. Ich fühlte sofort, dass wenig Einigkeit über das Bild des Verstorbenen herrschte und im Laufe des Gespräches stellte sich heraus, dass die beiden Geschwister zum ersten Mal nach vielen Jahren wieder zusammen an einem Tisch saßen.
Ich spürte regelrecht die Verletzungen auf beiderlei Beziehungsebenen. Ein erstes Indiz dafür, dass wir als Trauernde nicht unbedingt mit dem Abschied eines Menschen unseren Frieden finden. Denn das ist ein ganzes Stück Arbeit.
Konflikte bestehen über den Tod hinaus.
Was ist eigentlich ein Konflikt? Ganz kurz gesagt: Verschiedenen Interessen und Wertvorstellungen prallen aufeinander, Gefühle werden verletzt und Menschen kommunizieren nicht mehr richtig bzw. irgendwann auch überhaupt nicht mehr. Oft vergehen viele Jahre und man weiß gar nicht mehr, weshalb der Konflikt entstanden ist. Doch die Konsequenzen und die verletzten Gefühle sind fortwährend da. Sowohl im Kreise der noch lebenden Familienangehörigen, als in einigen Fällen auch gegenüber dem verstorbenen Menschen selbst.
Wichtig ist es, in meiner Welt zu wissen, dass jeder seine Sicht auf die Situation hat. Dass es in den meisten Fällen, um (empfundene) fehlende Wertschätzung der eigenen Gefühle geht. Menschen machen sich selbst und auch gegenseitig Vorwürfe. Allerdings steckt hinter jedem Vorwurf auch ein Wunsch.
Doch was könnten Impulse sein, um im Konfliktfall Frieden zu finden?
Ich möchte vier kleine Impulse hierzu geben:
1. Sich über die eigene Gefühlssituation bewusst werden
Was ist mein Wunsch? Was hätte ich mir in Situation A oder B gewünscht? Wie habe ich mich gefühlt und was hätte mir dabei helfen können, dass es mir besser geht?
Die Erkenntnisse sind oft sehr wertvoll und sind eine Unterstützung, wenn es darum geht, Gefühle in Worte zu fassen.
In meinem o. g. Beispiel habe ich die Geschwister in den Dialog gebracht. Immer wieder gab es AHA-Effekte. „Ach das wusste ich gar nicht, dass Dich das verletzt hat“ „..so habe ich das noch gar nicht gesehen“.
Im Gespräch habe ich den Raum gegeben, den wir uns im Leben viel zu selten geben. Jeder trauert anders um einen Menschen. Warum ist das so?
Ich glaube, weil jeder seine individuellen Gefühle mit dem Menschen verbindet. Das können gute oder eben auch verletzte Gefühle sein.
2. Die Beziehungsebene unseres Gegenübers wertschätzen
Zu wissen, dass ich meine Gefühle habe. Dass mein Gegenüber, diese vielleicht nur im Ansatz nachvollziehen kann und somit auch seine vollkommen berechtigten Gefühle hat. Eine wichtige Erkenntnis, um auch die Beziehungsebene unseres Gegenübers wertzuschätzen.
Denn alles, was da ist, sollte Beachtung finden. Wie schnell sind Gefühle von anderen Menschen in der heutigen Welt einfach vom Tisch. „Das ist einfach nicht so und Basta.“ Doch die Gefühle stehen nach wie vor im Raum. Sie sind in einem ungeklärten Zustand hinderlich für die Friedensfindung.
Anzuerkennen, dass jeder seine Verbindung hat; jeder Mensch anders fühlt, kann helfen wertzuschätzen.
3. Miteinander reden
Erst dann kommen wir wieder miteinander ins Gespräch. Erst dann geht es wieder um die Sache. Um Lösungsansätze. Um eine gemeinsame kommunikative Zukunft.
An dieser Stelle kann ich immer wieder das altbewährte Kommunikationsmodell von Schulz von Thun anwenden.
Erst wenn alle vier Seiten einer Nachricht abgebildet sind (Sache, Beziehung, Selbstoffenbarung, Appel) gelingt Kommunikation.
4. Die Situation annehmen und Ballast verringern
Doch was ist, wenn wir mit dem Menschen, mit welchem wir uns im Konflikt befunden haben, nicht mehr reden können. Wenn der Abschied zu früh gekommen ist und wir Dinge nicht mehr klären können?
Ein Schritt kann sein, die Situation anzunehmen und trotz allem positiv in die Zukunft zu schauen.
Ich habe den Geschwistern in meinem Beispielsfall den Tipp gegeben, die Dinge aufzuschreiben, die in ihrer Welt schief gegangen sind. Frieden mit dem Vater zu schließen. Allen verletzten Gefühlen nochmal Raum zu geben und die Briefe mit ins Grab zu geben. Hierdurch kann Ballast verringert werden. Die „Schwere des Rucksackes“, den wir tragen müssen, reduziert werden. Ein Geschwisterteil hat diesen Ratschlag umgesetzt und sich dadurch etwas besser gefühlt.
Nach der Trauerfeier sind die beiden Geschwister wieder getrennte Wege gegangen. In diesem Fall keine Erfolgsstory? Wer weiß, denn manchmal können auch getrennte Wege eine Lösung sein. Manchmal lassen sich Konflikte auch nicht mehr lösen. Die o. g. vier Impulse sollen eine kleine Inspiration dazu sein, wieder miteinander ins Gespräch zu kommen. Denn am Ende wünschen wir uns alle Frieden – welchen wir am allerbesten zu Lebzeiten finden.
Suchen Sie sich Menschen, die Ihnen bei einem offenen Austausch dabei helfen, mit Ihren Gefühlen umzugehen. Reden Sie miteinander. Es macht so viel glücklicher, als im Konflikt zu verharren.
Ein Beitrag von BEN SPRICHT für www.trosthelden.de